Falls wirklich mal eine Diss geschrieben werden sollte, in der man sich "über die Artikulation der sozialen Kämpfe in den 90er und 00er Jahre" Gedanken macht, dann hoffe ich ganz stark, dass auch dieses Wahnsinnsporträt von Cornelius Tittel über Poschardt integriert wird. Von 2002, aber dennoch so aktuell, dass man erschaudert. Man könnte nach der Lektüre fast behaupten, hier konfrontiert zu sein mit einem leibhaftigen organischen Intellektuellen unangenehmer Klassen. Vielleicht keiner aus dem Generalstab, aber ein Obrist darfs schon sein. Nur dass ihm das Einbinden in sein hegemoniales Elite-Leistungsprojekt heute schlechter zu gelingen scheint als noch vor zwei Jahren auf der Merve-Party.
www.taz.de/pt/2002/03/21/a0168.nf/text
malowsky - 29. Nov, 17:11
Zwei Filme haben mich letzte Woche nachhaltig beeindruckt. Ein recht naheliegender, da just angelaufener und ein selten gezeigter, rarer stehen sich hier gegenüber. Und ebenso zwei gänzlich unterschiedliche Epochen.
Um die Katze aus dem Sack zu lassen, es waren "Die Niklashauser Fart", ein Fassbinder-Film von 1970 und "Das Kind" von den Dardenne-Brüdern aus dem Jahr 2005.
Ersterer stellt sich in der Darstellung des sozialrevolutionären Heiligen des 15. Jhr. Hans Böhm die Frage, warum Revolutionen so häufig oder immer? scheitern. Der Film arbeitet sich zu diesem Zweck nicht wirklich konsequent an dem historischen Stoff ab, ein Schäfer wird, nachdem er als von der Heiligen Jungfrau erweckter Laienprediger zur Abschaffung des Eigentums usw. aufruft, verbrannt, sondern zeigt in einer wunderbaren Montage Fassbinder und seine ganze Crew mit Lederjacken und ähnlich zeitgnössischem bestückt als Zeugen des Versagens der 68er inmitten der Umgebung des Hans Böhm. Letztlich ist gar nicht klarer, warum diese Revolutionen scheitern, sie tun es trotzdem. Und wenn sie es tun, so die Moral, dann hat man immer noch das Recht des bewaffneten Widerstands. Die Guerilla-Kampf-Szenen, mit denen der Film sein Finale fährt, sind eine recht unpathetische Apologie des Terrorismus, was vor allem deshalb interessant ist, da Fassbinder 7,8 Jahre später ein wahnsinnig angestrengtes und ambivalentes Verhältnis zu der Gewaltfrage entwickeln wird. Spaßig ist der Film vor allen Dingen dann, wenn er sich seine theoretischen Einschübe gestattet. Nicht nur, wer das Kapital liest, kann hier seine wahre Freude haben, auch Leninisten dürften sich wohlfühlen. Spannend auch, dass hier permanent internationalistisch gedacht wird, ganz zeitgemäß wird alle paar Sequenzen auf die Black Panther oder auch mal auf Lateinamerika und seine Befreier referiert. Schönes Ding., wenngleich unfassbar spröde und soooo weit weg. Wie weit, dass merkt man an der Darstellung der Unterprivilegierten im neuen Dardenne-Film. Von revolutionärer Energie braucht man hier natürlich gar nicht erst zu sprechen, schließlich findet hier der Proletkult vermutlich sein letztes Kerzlein ausgeblasen. Waren schon die Proletarier der letzten Dardenne-Werke eher schlechte Folien für Heroen-Projektionen, macht der neue Film tatsächlich noch einen Schritt weiter. Den Underclass - Menschenhändler und Ausbeuter aus La Promesse konnte man ja am Ende beinahe noch verstehen, alles Gesellschaft halt, aber wie einem Protagonisten jegliche Empathie abhanden kommen, ist so fern, ferner ist nur noch Ulf Poschardt. Da hat man wirklich Angst, dies könnte Realismus sein. Da ist alles so kaputt und vor allem gibt es keinen Hans Böhm, und wenn es ihn gäbe, niemand würde ihm folgen.
malowsky - 29. Nov, 17:03